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 WARENKUNDE
  RSW-Verfahren (Reactor Sea Water) gekühlt werden. Dabei strömt Seewasser, das auf minus 1 °C gehalten wird, von unten durch eine perforierte Bodenplatte in die Tanks. Das kühlt die Tiere und hält sie wie auf einem Wasserbett in der Schwebe, was Quetschun- gen vorbeugt.
Gewöhnlich wird der Hering direkt nach dem Fang „gekehlt“ oder – wie man in Holland sagt – „gekakt“ (gesprochen mit langem „a“). Dieser Kehlschnitt wurde traditionell mit einem speziellen Messer, dem „Haringkaker”, von Hand erledigt, ist heute aber auch maschinell möglich. Laut Legende soll der Schnitt etwa um das Jahr 1380 von Willem Beukelszoon van Biervliet aus der niederländischen Provinz Zeeland erfunden worden sein. Weder die Person noch der Ursprung des Verfahrens lässt sich sicher bewei- sen, doch der Effekt des „Kakens“ war schon damals überzeugend. Die gekehlten Heringe benötigten we- niger Salz, um längere Zeit haltbar zu bleiben. Sie verdarben in den Fässern nicht so schnell, weil die Salzlake darin seltener „umkippte“. Außerdem stell- te man erstaunt fest, dass der gekakte Hering einen
Je nach Produkt reift der Matjes als ganzer Fisch
in Salzlake durch körpereigene Enzyme beziehungs- weise als Filetware durch Zugabe von Enzymen.
viel angenehmeren Geschmack als reiner Salzhering entwickelte. Während beim Salzhering ein Teil des Salzes vor dem Verzehr erst durch langes Wässern wieder entfernt werden musste, konnte man die ge- kehlten und mild gesalzenen „Urmatjes“ manchmal sogar direkt aus dem Fass essen. Eine Erklärung für die „wundersame Reifung“ gekehlter Heringe hatten unsere Vorfahren zwar nicht, doch das Wissen um die Geheimnisse des Herstellungsprozesses machte Hollands Heringswirtschaft für viele Jahrhunderte zum Markführer bei Matjes. Eine Position, die sie im Grunde bis heute behauptet.
Verdauungsenzyme steuern den Reifungsprozess
Inzwischen wissen wir natürlich, dass der marzi- panartig milde Geschmack und unglaublich zarte Biss der echten, natürlich gereiften Matjes das Re- sultat enzymatischer Prozesse ist, die das Eiweiß des Fisches angreifen und teilweise zersetzen. Beim Kehlen werden neben den Kiemen auch die Eingeweide aus der Bauchhöhle des Herings ent- fernt, wobei jedoch Teile der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) im Fisch zurückbleiben. Das Herings- pankreas ist kein kompaktes Organ, sondern eine Ansammlung diffuser Zellen, die im Fettgewebe
Matjes gilt seit Jahrhunderten als Delikatesse, die traditionell auf niederländischen und deutschen Speisekarten
zu finden ist.
Nicht nur Kondition und Fettgehalt des Herings beein- flussen die Qualität der späteren Matjes, sondern auch die Behandlung des Fanges
an Bord.
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   Historische Heiratsstatik
Gute Heringsfänge fördern glückliche Ehen
Im Buch „Die Wunder des Meeres“ be- schrieb K. Diederichs im Kapitel über den Hering Anfang des 20. Jahrhunderts den Zusammenhang zwischen der Herkunft des Fisches und gutem „Maatjes“. Danach ver- schiffte Gothenburg (Göteborg) allein 1781 mehr als 164 Mio. Heringe und ab dem Jahr 1867 sei mit Aasvaer in Norwegen ein
weiterer Fischereistandort hinzugekom- men, der jährlich „über 200.000 Fässer Heringe“ versandte. „Auch die Engländer haben einen bedeutenden Anteil an diesem Erwerb, obwohl ihre Ware die am wenigs- ten geschätzte ist“. Gleichwohl seien die Heringsfänge für die dortigen Küsten- gegenden wichtig, wie die „Statistik der
Heiraten“ zeige. Als 1871 der Heringsfang von Fraserburgh „äußerst glänzend“ aus- fiel, wurden in nur drei Monaten 80 Prozent mehr Ehen geschlossen als sonst. Im Be- zirk von Tarbet waren die Fänge hingegen schlecht und „es folgte nicht eine einzige Hochzeit“. Die Schotten hätten deshalb das Sprichwort: „No herring, no wedding“.
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