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 Weil die Botschaft schockieren soll, bombardiert Tabrizi die Zuschauer mit Zahlen, die man anzweifeln, jedoch kaum überprüfen kann. In jeder Minu- te werde eine Müllwagenladung Plastik in den Ozean geworfen, heißt es in der Doku und „Geisternetze“, verlorene und aufgegebene Fanggeräte, würden bis zu 46 Prozent des Plastikmülls in den Weltmeeren ausmachen. Dieser Wert stammt aus einer wissenschaftlichen Studie, die sich allerdings nur auf den großen Müllstrudel im Pazifik („Great Pacific Garbage Patch“) bezieht und nicht auf alle Meere hochgerechnet werden kann. Greenpeace-Schätzungen
eine vielzitierte „Science“-Studie von 2006, die international große Beachtung fand. Das US-amerikanische National Fisheries Institute (NFI) weist jedoch darauf hin, dass diese Prophezeiung auf falschen Berechnungen basierte und drei Jahre später durch eine Follow-up- Studie im selben Journal korrigiert und widerlegt wurde – übrigens von den Autoren der ersten Studie selbst. Das verschweigt der Film. Im Zusammen- hang mit der IUU-Fischerei behauptet Tabrizi, dass jeder dritte Wildfisch, der in die USA importiert werde, illegal ge- fangen sei. Diese Angabe, kritisiert Ray Hilborn, entbehrt jeder Grundlage und
Verwendung von Fischmehl im Futter mache die Aquakultur zur „Wildfische- rei in Verkleidung“, die Fische schwöm- men „in ihrem eigenen Dreck“. Eine Se- quenz in dieser Passage der Doku, die in einer Mowi-Farm gedreht wurde, weckt aber Zweifel an der Seriosität der Aus- sagen. Man sieht, dass Tabrizi vom „Ak- tivisten“ Don Staniford begleitet wird, der 2012 vom Lachszuchtunternehmen Mainstream, einer kanadischen Cer- maq-Tochter, wegen Verleumdung an- geklagt wurde. Aus Dokumenten des Obersten Gerichtshofs von British-Co- lumbia geht hervor, dass Staniford „vor- eingenommen“ ist und „Tatsachen ver- dreht“, wenn es um Lachszucht geht. Er wird als „Eiferer“ bezeichnet, der nicht zugeben mag, dass er mit einigen Aussa- gen falsch liegen könnte. Der Zweck hei- ligt offenbar die Mittel, wie Paul Watsons (Sea Shepherd) Aussage über Lachsfar- men erkennen lässt: „Unser Ziel ist es, sie zu schließen“. Doch die Scottish Sal- mon Producers Organization wehrt sich und erklärt, dass die von „Seaspiracy“ gegen die schottische Lachsindustrie er- hobenen Vorwürfe „falsch, irreführend und ungenau“ sind. Dieser Teil der Do- ku sei purer Aktivismus, der sich als in- vestigativer Journalismus tarnt.
Besonders schockierend sind Szenen des Films, in denen es um Zwangs- und Sklavenarbeit auf Fischereifahrzeugen geht. Tabrizi zeigt Opfer von dokumen- tierten Fällen in Thailand. Eine Person berichtet von körperlichen Misshand- lungen und Todesdrohungen durch Schiffsbetreiber. Ein ehemaliger Fischer behauptet, er habe die Leichen von ge- töteten Kollegen gesehen, die in Gefrier- truhen an Bord des Schiffes aufbewahrt wurden. Dass es solche Vorkommnisse gab, scheint erwiesen. Ob sie ein Mas- senphänomen in der globalen Fischerei sind, darf aber getrost bezweifelt wer- den. Zumal sich die Situation in jünge- rer Zeit auch in Thailand deutlich ver- bessert hat. Fischmagazin hat schon vor mehreren Jahren über das thailändische Registrierungsprogramm für illegale Einwanderer berichtet (FM 09/2014). Geradezu abenteuerlich muten Pas- sagen der Doku an, in denen Tabrizi
MEDIENKRITK
 Ali Tabrizi entwirfft ein bizarr manipuliertes Zerrbild der Fischerei, das Menschen aufschrecken und zur radikalen Abkehr vom Seafoodverzehr bewegen soll.
gehen von 10% Fischereimüll in den Ozeanen aus. „Seaspiracy“ behauptet, dass jedes Jahr eintausend Schildkrö- ten durch Plastikpartikel im Meer ihr Leben verlieren, im gleichen Zeitraum aber 250.000 Meeresschildkröten von Fischern verletzt oder getötet werden. Angeblich fange die weltweite Fische- rei in jeder Minute des Tages 5.000.000 Fische. Grundschleppnetze sollen all- jährlich 3,9 Milliarden Morgen Meeres- boden „auslöschen“.
Das apokalyptische Szenario gipfelt in der Behauptung, dass die Meere bis zum Jahr 2048 fischfrei sein werden. Hier bezieht Tabrizi sich offenbar auf
ist unglaubwürdig. Ebenso fragwürdig seien die Verlustzahlen an Walen und Delfinen durch Beifänge der industriel- len Fischerei, die die Doku auf 300.000 Tiere beziffert. Hilborn verweist darauf, dass die Zahl der Wale in den Ozeanen wächst und nicht abnimmt und dass es heute mehr Fische gibt als vor 100 Jahren.
Verbesserungen in vielen Bereichen werden ignoriert
Beim Besuch in einer schottischen Lachsfarm thematisiert die Doku aus- schließlich Probleme wie Krankhei- ten, Läuse und Abfallmengen. Die
52 FischMagazin 4/2021
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