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 „Seaspiracy“ enthalte „erstaunlich viele Fehlinformationen“. Die beste Reaktion auf den Film sei es, ihn zu ignorieren. Das wäre jedoch fahrlässig, denn so fragwürdig und widersprüchlich diese Doku auch immer sein mag, findet sie doch starke Resonanz in der Öffentlich- keit. Die propagierten Argumente, Be- hauptungen und dreisten Lügen werden von manchen Zeitgenossen nur allzu willig aufgegriffen und weiterverbreitet. Es geht hier nicht nur um den Verzicht auf Fisch, das eventuelle Nein einiger Verbraucher zu Lachs, Thunfisch und Hering. Das als „aufwühlender Film“ an- gepriesene Machwerk verspricht markig die Aufdeckung „vertuschter Wahrhei- ten“, erschreckender globaler Zusam- menhänge und versteckter Hintergrün- de über die Zerstörung der Ozeane. Zu den Kernaussagen im Film gehört, dass nachhaltige Fischerei grundsätzlich un- möglich sei. Zertifikate wie das MSC- Siegel seien wirkungslos und nur ein Marketingtrick. Damit versucht „Sea- spiracy“ all das zu erschüttern und in Zweifel zu ziehen, wofür sich die Fisch- wirtschaft seit Jahren engagiert. Darum können wir Tabrizis Doku, so unsinnig sie auch sein mag, nicht unkommentiert hinnehmen und müssen reagieren!
Dokumentation findet breite Resonanz in den Medien
Zumal „Seaspiracy“ innerhalb weniger Tage in die Top Ten der meistgesehe- nen Shows von Netflix aufgerückt ist, das
Filmautor Ali Tabrizi bedient sich bewährter populistischer Instrumente, reißt Fakten aus dem Zusammenhang und schneidet Bilder und Aussagen so zurecht, dass sie sein Anliegen unterstützen.
MEDIENKRITK
 über 200 Millionen Abonnenten in mehr als 190 Ländern hat. Auf der Online-Platt- form Internet Movie Database (IMDb) wird das Werk mit 8,6 von 10 Punkten bewertet, bei Google mit 4,9 von 5 und auf der Filmkritik-Website Rotten Toma- toes erreicht es satte 93 Prozent. Der Film macht Schlagzeilen in prominenten Pu- blikationen wie Vogue, ELLE, Washing- ton Post und Grazia, dazu kommt eine wahre Flut von Meinungsäußerungen auf digitalen Plapperplattformen von In- stagram bis Twitter. Offenbar lässt sich die moderne Wissensgesellschaft gerne von radikalen Schreihälsen kapern und für dumm verkaufen, wie begeisterte Tweeds über die Doku zeigen. Fehlen- des Wissen über die tatsächliche Fische- rei hält erstaunlich wenige Follower in den sozialen Medien davon ab, einen
Beim Besuch
in einer schotti- schen Lachs- farm themati- siert die Doku ausschließlich Probleme wie Krankheiten, Läuse und Abfallmengen.
Kommentar zu den „schrecklichen Ver- hältnissen auf See“ abzugeben. Mög- lichst drastisch sollte er sein, damit das Statement, so unsinnig es auch sein mag, auffällt und wahrgenommen wird.
Auch prominente Claqueure applau- dieren begeistert. Guardian-Kolumnist und Umweltschützer George Monbiot pflichtet Tabrizi bei: „Solange die Fisch- industrie im Grunde nicht reguliert ist, bleibt als einzige ethische Handlung nur, keinen Fisch mehr zu essen“. PETA froh- lockt und Paul Watson, Gründer von Sea Shepherd, hält für erwiesen „es gibt keine nachhaltige Fischerei“. Diese Rigorosität geht selbst Greenpeace zu weit. „Veganer zu werden kann nicht die einzige Ant- wort sein“, meint Will McCallum, Head of Oceans bei Greenpeace Großbritannien. „Eine derartige Forderung ignoriert, dass das Überleben von Milliarden Menschen von den Meeren abhängt“. Auch die Mee- resschutzorganisation Oceana betont, dass der völlige Verzicht auf Fisch und Meeresfrüchte keine realistische Alterna- tive für viele Millionen Menschen welt- weit sei, denen dann Armut, Hunger und Mangelernährung drohten.
Drastische Aussagen sollen bewusst schockieren
„Seaspiracy“ behauptet, die kommer- zielle Fischerei sei der Haupttreiber für die Zerstörung mariner Ökosysteme.
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