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MARKTANALYSE
Bewegung. Allerdings täuscht die mediale Aufmerk- samkeit, die Fleisch- und Fischersatzprodukte erhal- ten, über ihren tatsächlichen Marktanteil. Im Jahre 2019 soll, so das Statistische Bundesamt, die Produkti- on von Fleischersatzprodukten in Deutschland einen Wert von 272,8 Mio. Euro gehabt haben. Zum Ver- gleich: der Produktionswert der Kategorien Fleisch, Geflügelfleisch und verarbeitetes Fleisch lag 2019 zusammengerechnet bei 40,1 Mrd. Euro – das waren fast 150-mal soviel. Doch der Verzehr von tierischen Lebensmitteln soll in wenigen Jahren seinen Höhe- punkt erreicht haben, kündigt eine Studie von Boston Consulting und dem Investor Blue Horizon an.
Wie viele Fischprodukte sich in der Kategorie „Ve- getarische und vegane Lebensmittelzubereitungen“
des Statistischen Bundesamtes verbergen, ist nicht bekannt. Fakt ist: seit etwa zwei, drei Jahren versu- chen sich immer mehr Unternehmen an der Ent- wicklung von Lebensmitteln, die den Anspruch ha- ben, wie ein bestimmtes Fischprodukt auszusehen und zu schmecken, jedoch ausschließlich pflanzli- che Inhaltsstoffe besitzen. Die Inhaltsstoffe entschei- den sich dabei gravierend, die Ergebnisse allerdings ebenso.
Seafood-Imitate aus Tofu
Auf Basis von Soja und Lupine produziert der süd- deutsche Tofu-Pionier Lord of Tofu auch mehrere Seafood-Imitate. Freddy Ulrich, der das Lörracher Un- ternehmen vor gut einem Vierteljahrhundert mit
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Vegane Ernährung war einst eine Nische, heute ist sie ein Lebensstil.
Start-ups für „kultiviertes Fischfleisch“
Hummer- , Garnelen- und Fischfleisch aus dem Reagenzglas
Parallel zur Entwicklung pflanzenbasier-
ter Produkte, die Fisch und Meeresfrüchte ersetzen sollen, arbeiten weltweit Lebens- mitteltechniker an zellbasiertem Meeres- früchtefleisch. Bei dem Verfahren werden Stammzellen am lebenden Tier „geerntet“ und mit biotechnologischer Hilfe in Nährlö- sungen vervielfacht. Das auch als kultivier- tes Fleisch oder „Clean Meat“ bezeichnete Produkt soll von Geschmack und Textur iden- tisch mit konventionellem Tierfleisch sein. Das BioTech-Unternehmen Shiok Meats mit Sitz in Singapur ist nach eigenen Angaben das erste, das Stammzellen von Garnelen, Hummern und Krabben für seine zellbasierte Produktion verwendet. Die Mikrobiologin
Dr. Sandhya Sriram hatte im Jahre 2018 gemeinsam mit ihrer Kollegin Dr. Ka Yi Ling im St. John‘s Island National Marine Labo- ratory zunächst Stammzellen von Shrimps isoliert. Im November 2020 ließ Shiok Meats erstmals kultiviertes Hummerfleisch verkos- ten, das in vier bis sechs Wochen in einem Nährbad aus Aminosäuren und Proteinen abgewachsen war.
Erste Pilotanlage in Asien
Nach den ersten Erfolgen konnten die beiden Wissenschaftler insgesamt 12,6 Mio. USD Investmentkapital von dem japanischen Ver-
Bereits Ende 2021 will das US-ameri- kanische Food-Tech-Unternehmen BlueNalu zellbasiertes Seafood im kommerziellen Maßstab produzieren, und zwar zunächst Fleisch vom Mahi-Mahi (Foto).
packungshersteller Toyo Seikan Group sowie weiteren Investoren einwerben. Mit dem Geld wird seit Ende 2020 die erste kommer- zielle Pilotanlage für kultivierte Fleischpro- dukte in Asien errichtet, die im Jahre 2022 mit der Produktion für den Markt beginnen soll. In der neuen Produktionsanlage soll zunächst Garnelenfleisch auf Zellbasis für verschiedene Gerichte hergestellt werden. Geplant sei außerdem die Produktion von Garnelenaroma-Paste und -Pulver, vollstän- dig geformten „3D-Garnelen“ sowie zellba- sierten Hummer- und Krebsalternativen. Als erste potentielle Märkte hat Shiok Meats den asiatisch-pazifischen Raum und die USA im
Blick. Bezüglich der Verbraucher-Akzeptanz stimmen die Ergebnisse einer Umfrage opti- mistisch, die das Start-up durchgeführt hat: demnach äußerten 78% der in Singapur Be- fragten die Bereitschaft, kultiviertes Fleisch zu probieren.
BlueNalu kooperiert mit Nutreco in Holland
In den USA hat das Food-Tech-Unternehmen BlueNalu in den vergangenen Monaten nicht weniger als 60 Mio. USD an Geldern akqui- riert, um am Unternehmenssitz San Diego/ Kalifornien seine erste Fabrik für zellbasier- tes Seafood zu errichten, meldete das Portal Green Queen im Januar. Das sei die größte Summe, die bislang für die Finanzierung eines Unternehmens aus der „cultivated seafood industry“ zusammengekommen sei. In der projektiert 3.700 Quadratmeter großen Produktion soll zunächst Fleisch vom Mahi- Mahi und vom Blauflossenthun abwachsen. Verläuft alles nach Plan, will BlueNalu bereits Ende 2021 gemeinsam mit Foodservice- Partnern seine Produkte an den Markt bringen. In einem zweiten Schritt wollen die Amerikaner im Rahmen von Joint-venture- Projekten weitere Schlüsselmärkte erobern. Zu den Partnern gehöre unter anderem die niederländische Nutreco.
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FischMagazin 4/2021 39