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Der Kohlenstoff in Produkten kann nur ge- bunden werden, wenn der Kreis geschlossen wird Das Ziel lautet daher nicht Klimaschutz, sondern „echte Kreislaufwirtschaft“ Die Unter- nehmen, welche kreislauffähig werden, neh- men auf dem Weg dahin – wenn der richtige Weg gewählt wird – den Klimaschutz mit
Im Grunde geht es um die Herstellung und Nut- zung langlebiger Produkte, denn was lange in Benutzung ist, muss auch erstmal nicht recy- celt werden Über Circular Design der Produkte wird sichergestellt, dass nach einer möglichst langen Nutzung im Recycling die Ressourcen wieder verfügbar gemacht werden (oftmals ist in der echten Kreislaufwirtschaft von den „R- Strategien“ die Rede6)) Auch die Steigerung der Energieeffizienz in der Produktion und der Ein- satz erneuerbarer Energien ist absolut wichtig Im Übrigen gebietet es der gesunde Menschen- verstand, auch dann sparsam mit Energie um- zugehen, wenn diese vollständig ohne CO2- Emissionen bereit gestellt werden könnte
Zahl der Zertifikate zur CO2- Kompensation steigt deutlich an
Aus einer vom Umweltbundesamt im Jahre 2021 beauftragten Studie geht hervor, dass zwischen 2012 und 2020 in Deutschland der Verkauf von Zertifikaten zur CO2-Kompensation von 5,3 auf 71,8 Mio t angestiegen ist (Ab- bildung 3) Verkauft und stillgelegt (also „ab- gegolten“) wurden bei den in der Umfrage teilnehmenden Zertifikatanbietern in 2020 Zer- tifikate für 43,6 Mio t CO2; das entspricht circa 6 % der deutschen Emissionen7)
An dieser Stelle sei gesagt, dass das Kompetenz-Zentrum Textil+Sonnenschutz den reinen Erwerb von Zertifikaten ohne die vorangegangenen anderen Maßnahmen zur Ressourcenschonung für den falschen Weg hält!
Anbieter von CO2-Kompensations-Zertifikaten (bitte nicht verwechseln mit den Zertifikaten des Emissionshandels, deren Erwerb zum Emittieren von CO2 berechtigt) bieten ver- schiedene Projekttypen im In- und Ausland an wie CO2-Kompensation, Erneuerbare Ener- gien, Energieeffizienz, Landwirtschaft, Wälder und Forstwirtschaft, vermiedene Entwaldung, Abfallbehandlung, Industrie und Transport Zu- nehmender Beliebtheit erfreuen sich die Pro- jekte im Bereich Erneuerbare Energien sowie Projekte in der Wald- und Forstwirtschaft über- wiegend im globalen Süden (29 % und 43 % des zertifizierten Volumens in der UBA-Studie7)) Doch im Bereich Wald- und Forstwirtschaft ist Missbrauch besonders leicht möglich und die Konsequenzen können verheerend sein!
In Panama und anderen Ländern des globalen Südens wird Fläche für Klimaschutzprojekte genutzt Natürlich wird von den Anbietern der Kompensationszertifikate beteuert, dass kein Waldgebiet dafür genutzt (also gerodet) wird Doch wenn Felder für CO2-Kompensations- zwecke genutzt werden, können auf der Flä- che keine Lebens- oder Futtermittel angebaut werden Es muss also an anderer Stelle Wald abgeholzt werden, um diese Felder für Lebens- mittel zu ersetzen 1 ha Regenwald bindet etwa 200 t Kohlenstoff Bei der Umwandlung in Ackerland wird dieser Kohlenstoff in Form von
734 t CO2 freigesetzt Ein intakter Regenwald hat die Fähigkeit jährlich etwa 4,3 t CO2/ha zu binden8)
In Deutschland wurden im Jahr 2020 etwa 18,7 Mio t CO2 durch Waldprojekte kompensiert7) Geht man davon aus, dass damit eine un- bewusste und ungewollte Waldrodung einher- geht (genannt ILUC, indircect land use change), müssten dafür 4,35 Mio ha Regenwald (ent- spricht der Fläche von Dänemark) gerodet werden und damit 3193 Mio t CO2, also das 4,2-fache der deutschen CO2-Jahresemmission freigesetzt werden Und das wohlgemerkt für die Kompensation von nicht einmal 2,5 % der deutschen CO2-Jahresemissionen
Bei der Pflanzung von Bäumen als Ausgleich würde die freigesetzte CO2-Emission der Ro- dung nach 170 Jahren kompensiert werden – allerdings nur unter der Prämisse, dass die Bäume ab dem ersten Jahr 4,3 t/ha CO2 binden, was nicht der Fall ist In diesem Zeitraum wird in Deutschland wie in der Welt eine beträcht- liche Menge CO2 weiter emittiert, egal wel- chen Weg wir einschlagen Ganz zu schweigen von dem mit Rodung einhergehenden Verlust an Boden, Biodiversität und Lebensraum für Mensch und Natur
Fläche ist nun mal eine begrenzte Ressource Durch CO2-Kompensation in Form von Wald- projekten wird das Klimaproblem zusätzlich zum Ressourcenproblem und verstärkt be- stehende Ressourcen- und Umweltproble- me, wie sie Abbildung 2 zeigt Glücklicher- weise gehen aber nicht alle Projekttypen der CO2-Kompensation einher mit der Gefahr von großen „Umweltsünden“ und der Verschärfung des Ressourcenproblems
Zu komplex für einfache Antworten
Das Problem im Klimaschutz ist, dass dieses Thema medial und politisch überpräsent ist und auch viel Falsches verbreitet beziehungsweise übertrieben wird So werden regelmäßig Klima- modelle wie das RCP85 von wissenschaftlichen Instituten, NGOs, Beratern und auch von politi- schen Entscheidungsträgern genutzt, um dar- aus Maßnahmen für die Klimapolitik abzuleiten Dabei wird RCP85 von den Autoren klar als „un- realistisches Extremszenario“ betitelt und dient lediglich der Validierung und Sensitivitäts-
Quelle: sustainable 2021, Daten: Befragung der Angebotsseite:
Matrix mit mehrfacher numerischer Eingabe
Abb. 3: Verkaufte sowie verkaufte und stillgelegte Zertifikate zur freiwilligen Kompensation in Deutschland von 2012 bis 2020.
18 BTH Heimtex 5/2023
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